Veröffentlicht auf students.ch
Der Kopf schmerzt, als Kelvin wieder erwacht. Er will die Beule ertasten, damit er sehen kann, wie gross sie ist. Doch seine Arme lassen sich nicht bewegen. Er ist an einen Stuhl gefesselt. Kelvin versucht sich zu befreien, indem er seine Arme windet, doch der Versuch scheitert kläglich und er muss aufgeben, weil das Seil in sein Fleisch schneidet und es anfängt zu bluten. Vor ihm steht ein Tisch, wie er in der schwachen Beleuchtung erkennen kann. Das Licht kommt von einem kleinen vergitterten Fenster am anderen Ende des Raumes. Er schaut sich weiter um. Sein Nacken schmerzt, wenn er seinen Kopf bewegen will, doch das ist ihm egal, er will wissen, wo er hier gelandet ist. Doch das Tageslicht ist zu schwach, um den Raum richtig auszuleuchten. Das einzige das er noch entdecken kann, sind die Rohre an der Decke. Der modrige Geruch lässt ihn vermuten, dass er sich in einem Keller befinden muss. So blickt Kelvin in die schwarze Leere. Er kann nichts erkennen, er hört auch keine Stimmen oder sonstige Geräusche – es ist mucksmäuschenstill. Er weiss nicht, ob er rufen soll, damit ihn jemand hört, oder ob er lieber still bleibt, damit sein Entführer nicht merkt, dass er schon wach ist. Sein Ungewissen und seine Angst lassen ihn stumm bleiben. „In was bin ich da nur hineingeraten“, überlegt er sich. Ihm ist klar, dass seine Entführung mit dem Mord an Mario zu tun haben muss. Leider weiss er zu wenig über die Freizeitbeschäftigungen seines Kollegen, doch dass er in irgendwelchen komischen Kreisen verkehrte, da ist sich Kelvin sicher. Er überlegt eine Weile, was sein Mitstudent getan haben könnte, da übermannt ihn wieder die Müdigkeit.
Nach einer Weile weckt Kelvin ein Geräusch. Eine Türe geht auf, die Türe zu seinem Raum. „Es kommt jemand“, flüstert Kelvin vor sich hin. Dann sieht er eine schwarze Gestalt die Treppe herunterkommen. Kelvin will jetzt wissen, was das Ganze hier soll und ruft: „Warum haltest du mich hier fest? Was habe ich dir getan?“ Die Gestalt zuckt kurz zusammen, hat sich aber schnell wieder gefangen. Sie trägt zwei Schüsseln in ihren Händen, kommt auf ihn zu und stellt die Schüsseln auf den Tisch vor Kelvin. „Sprich mit mir, was soll das hier bedeuten?“ Doch die Gestalt dreht sich um und verschwindet wieder die Treppe hinauf. „Und wie soll ich essen, ohne meine Hände?“, ruft Kelvin der Gestalt noch nach, doch die verschwindet ohne Worte hinter der Tür. Kelvin schaut sich an, was ihm hier kredenzt wurde. In der einen Schüssel sind rote Bohnen, die noch leicht dampfen, wie er noch knapp erkennen kann, in der anderen Wasser. Es sind weniger Schüsseln, als Fressnäpfe für Hunde, in denen er sein dürftiges Mahl bekam. Jetzt wurde ihm auch bewusst, wie er essen sollte. Sein Entführer will ihn demütigen, indem er ihn zwingt, wie ein Hund zu fressen. Eigentlich sträubt er sich innerlich dagegen, seinem Entführer diesen Gefallen zu tun. Doch er konnte seit seiner Ankunft in der Schweiz noch nichts zu sich nehmen, und sein Hungergefühl ist nicht gerade klein. Der Dampf der roten Bohnen steigt ihm in die Nase und er kann sich nicht mehr zurückhalten. Er hält seinen Kopf über den Futternapf und schnappt nach ein paar Bohnen. Sie sind noch heiss und er muss die Hälfte wieder ausspucken, damit er sich nicht den Mund verbrennt. Danach leckt er Wasser aus der anderen Schüssel. Es gelingt ihm immer besser, die heissen Bohnen richtig zu schnappen und so kann er seinen Hunger stillen. Sein ganzer Mund, sein T-shirt und der ganze Tisch ist voller Sauce als er mit dem Essen fertig ist, doch er ist satt. Nach kurzer Dauer geht die Türe wieder auf und die kleine Gestalt kommt hinunter getrippelt. Ihm fällt auf, dass die Gestalt trotz ihrer gebückten Haltung ziemlich grazil läuft. Wieder fragt er sie, was das ganze soll, und wieder antwortet sie ihm nicht. Der Kopf der Gestalt ist verdeckt unter einer Kapuze, doch als die Gestalt sich über die Schüsseln beugt, fallen der Gestalt ihre langen Haare aus der Kapuze. Kelvin erschrickt: „Es ist ein Mädchen!“
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